Über das Investieren in Aktien

Dem Investieren in Aktien stehen die Deutschen im allgemeinen eher skeptisch gegenüber. Über die Gründe kann man nur einige Vermutungen anstellen. Zum einen hat die Wirtschaft, "der Kapitalismus", in Deutschland einen eher schlechten Ruf, gerade im Vergleich mit den angelsächsischen Ländern England und USA. Ob dies gerechtfertigt ist, ist eine eigenen Abhandlung wert, doch hier sei nur gesagt, dass der Autor der Meinung ist, dass niemand ein schlechtes Gewissen haben muss, weil er in Aktien investiert. Im Gegenteil dient der Aktienmarkt der Versorgung der Unternehmen mit Kapital und ist so eine Voraussetzung für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Daneben mögen die beiden Weltkriege mit der nachfolgenden Geldentwertung der Grund für ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis des deutschen Sparers sein. Dieses Sicherheitsbedürfnis der Deutschen spiegelt sich auch in der hohen Nachfrage nach Versicherungen wieder, die auch vor Ungetümen wie Brillenversicherung oder Reisegepächversicherung nicht halt macht. Sicher trägt auch die geplatzte Aktienblase um die Jahrtausendwende,während der an sich biedere Aktien wie die der Telekom in unvernünftige Höhen getrieben wurden, zur Vorsicht des deutschen Sparers bei. Ein wenig Mut gehört also zum Investieren in Aktien, aber es ist keineswegs Harakiri, wie ein Großteil des deutschen Publikums meint.

Doch genug der Vorrede. Was macht eine erfolgreiche Anlage in Aktien aus? Aktien sind Eigentumsrechte an Unternehmen. Diese Tatsache legt folgenden Grundansatz nahe: Ziel der Aktienauswahl muss es sein, für den gezahlten möglichst niedrigen Kaufpreis einen möglichst wertvollen Unternehmensanteil zu erwerben. Dieser uns beim Kauf eines Autos oder eines Hauses äußerst vertraute und selbstverständliche Denkansatz wird in Amerika "value investing" genannt und wurde schon 1949 von dem AmerikanerBenjamin Graham in seinem Buch "The intelligent investor" beschrieben. Dies führt uns natürlich sofort zu der Frage, wie man den Wert eines Unternehmens bestimmen kann. Diese Frage ist auf den ersten Blick gar nicht so leicht zu beantworten. Wie soll man z.B. den Wert des Internetunternehmens Google mit dem Wert des Stahlherstellers Salzgitter vergleichen, wie den des Versicherer Allianz mit dem des Chipherstellers Intel? Unser Beispiel vom Hauskauf legt folgenden Denkansatz nahe: Man nehme sämtliches Vermögen des Unternehmens, also Immobilien, Maschinen, Bankguthaben usw, ziehe davon die Schulden des Unternehmens ab. Dies wird der Substanzwert des Unternehmens bezeichnet und er lässt sich in der Unternehmensbilanz ablesen. Eine Umrechnung auf die einzelne Aktie ist durch einfache Division durch die Anzahl der Aktien zu erreichen. Dieses Vorgehen sieht auf den ersten Blick recht vernünftig aus, ist aber bei näherem Hinsehen äußerst problematisch. Sehr schön können wir uns das anhand eines Extremfalles, nämlich eines Softwareherstellers klarmachen. Der Wert eines Softwareherstellers wird mitnichten durch den Wert des Gebäudes beschrieben, in dem die Entwickler arbeiten, auch nicht durch den Wert der PCs und Flachbildschirme der Entwickler. Selbst eine CD mit der neuesten Programmversion macht nicht den Wert der Softwarefirma aus, denn was wäre die Software ohne Weiterenwicklung und die Bereinigung von Fehlern? Der Wert der Softwarefirma steckt offensichtlich in den Köpfen der Entwickler, in ihren Ideen und in ihrer Fertigkeit, diese umzusetzen, und selbstverständlich auch in der Fähigkeit des Managements, diese Ideen in die richtige Richtung zu leiten. Doch wie sollen wir den Wert von Ideen in Euro und Cent messen? Wir stecken offensichtlich in einer Sackgasse. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, erinnern wir uns an das Ziel eines Wirtschaftsunternehmens, welches viele Menschen in Deutschland nicht gerne hören wollen. Aufgabe eines Wirtschaftsunternehmen ist das Erzielen von Gewinn.Dies ist sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner, der alle Unternehmen eint, sei es ein Softwarehersteller oder ein Stahlproduzent. Doch wie kommen wir vom Gewinn eines Unternehmens zu seinem Wert? Offensichtlich reicht es nicht aus, den Gewinn in einem bestimmten Jahr zu betrachten, denn das Unternehmen erzielt Gewinn (oder womöglich Verlust), solange es existiert. Um diese Gewinne zu erhalten, darf ich natürlich das Kapital des Unternehmens, die seine Arbeitsmittel darstellen, nicht auflösen, so dass wir sagen können, der Unternehmenswert wird ausschließlich durch den Gewinn jetzt und in Zukunft verkörpert, nicht aber durch den Wert seines Vermögens, welches es für die Erledigung dieser Arbeit benötigt. Wir merken, dass die Diskussion etwas theoretisch wird, aber es ist an dieser Stelle wichtig, dass wir uns die Prinzipien klarmachen, bevor wir pragmatisch mit ihnen umgehen. Jetzt weiss der Betriebswirt, dass wir Zahlungsströme (nämlich die Gewinne des Unternehmens jetzt und in Zukunft), die uns zu verschiedenen Zeitpunkten eingehen, nicht einfach aufaddieren dürfen. Dies können wir uns an folgender einfachen Frage klarmachen: Was ist Dir lieber: 100 Euro jetzt oder 100 Euro in einem Jahr? Selbst wenn ich das Geld erst in einem Jahr benötige, ist die Antwort offensichtlich. Denn die 100 Euro, die ich in einem Jahr benötige, kann ich zur Bank bringen und dafür Zinsen kassieren. Um umgekehrt den Wert von 100 Euro, die mir in einem Jahr zugehen, heute zu bewerten, zinst der Betriebswirt ihn ab. Das bedeutet, er berechnet den Kapitaleinsatz, der heute angelegt bei einem bestimmten Zinssatz in einem Jahr ein Endkapital von 100 Euro erbringt. Dies bringt uns zu folgender Definition des Wertes eines Unternehmens:: Der Unternehmenswert ist die theoretisch bis ins Unendliche fortgesetzte diskontierte (abgezinste) Summe der für die Zukunft vorhergesagten Jahresgewinne des Unternehmens. (Discounted cash flow Methode DCF) Die Abzinsung sichert hier, dass Gewinne einen immer geringeren Beitrag liefern, je weiter sie in der Zukunft liegen Dies ist gut, denn die Voraussage der Zukunft wird auf längere Zeiträume natürlich immer schwieriger. Der Zinsatz ist hierbei bei "marktüblichen" Konditionen anzusetzen und es ist sofort klar, dass hier ein hohes Mass an Willkür mit ins Spiel kommt. Immerhin zeigt aber unser einfaches Modell schon, dass der Wert von Aktien tendenziell fällt, wenn die Zinsen steigen. Die Attraktivität von festverzinslichen Anlagen steigt eben in diesem Fall im Vergleich zu den Aktien. Aber viel schlimmer als die Ungewissheit des Diskontierungszinssatzes ist noch, dass wir kaum die Gewinne des Unternehmens für das laufende Jahr, geschweige denn für das nächste Jahr, oder wommöglich in fünf oder gar zehn Jahren voraussagen können. Die Berechnung des Unternehmenswertes und damit Aktienwertes ist eben keine exakte Wissenschaft, aber sie ist eben andererseits auch nicht völlig willkürlich. Deswegen sollte man auch das Wörtchen "unendlich" in der obigen Definition nicht allzu ernst nehmen, aber es ist wichtig, sich die Zusammenhänge prinzipiell klarzumachen, bevor man anfängt, mit ihnen zu spielen. An dieser Stelle merken wir auch, für welche Art von Unternehmen besonders geeignet ist, und für welche Unternehmen wir kaum zu relevanten Aussagen kommen. Nehmen wir als einen Extremfall ein Unternehmen wie Mc Donalds. Wir kennen die Anzahl der heute existierenden und in naher Zukunft geplanten Filialen und wir können über die nächsten drei bis vier Jahre einigermassen voraussagen, wie erfolgreich diese arbeiten werden. Da McDonalds heute fast überall auf der Welt verbreitet ist, sind die Wachstumsmöglichkeiten beschränkt. Solche Prognosen gelten selbstverständlich immer unter dem Vorbehalt, dass keine unverhergesehenen Ereignisse eintreffen, wie Änderung der Vorlieben der Konsumenten oder das Auftreten neuer Konkurrenz. Nehmen wir als anderes Extrem eine kleine Biotechnologiefirma, die an einem neuen Medikament arbeitet. Diese Firma hat aktuell nur Kosten, und ob und wieviel sie Gewinne machen wird, hängt davon ab, ob ihr Produkt überhaupt zugelassen werden wird und wie gross der Markt dann ist. Wir sehen, dass wir mit unserer DCF Methode vor einem sehr schwierigen Problem stehen, was auch der Grund ist, warum die Aktien von Biotechnologiefirmen stark schwanken. Zwischen diesen Extremen können wir eine Firma wie 1und1 ansiedeln, die DSL Anschlüsse vertreibt. 1und1 schreibt heute Gewinn und hat etwa eine Million DSL Kunden. Die Firma befindet sich in einem stark wachsenden Markt, da heute immer noch ein kleiner Teil der Deutschen über einen Breitbandinternetanschluss verfügt. Ein wachsender Markt sorgt hoffentlich für wachsende Gewinne in der Zukunft. Wir sehen also, dass gerade die weiter in der Zukunft liegenden Summanden der DCF trotz ihrer Abzinsung einen grossen Breitrag liefern. Andererseits wissen wir, dass Zukunftsprognosen einen höheren Fehler aufweisen, je weiter man in die Zukunft geht. Wir sehen also: Die DCF Methode ist besonders gut geeignet für sogenannte Substanzunternehmen, die in reifen Märkten relativ vorhersagbare Gewinne erwirtschaften. Ihre Anwendung ist mit einem höheren Fehler behaftet, wenn es um die Bewertung von Wachstumsunternehmen geht. Extrem schwierig ist in der Regel die Bewertung von Firmen, die sich noch in der Investitionsphase befinden und noch keine aktuellen Gewinne abwerfen. Dies ist übrigens der Grund, warum Anhänger der "Value Methode" wie Warren Buffet mit Vorliebe in Substanzwerte investieren. Sie bestreiten nicht die Möglichkeit, mit Wachstumsfirmen Geld zu verdienen, aber sie wissen, dass ihre Methode ohne sehr gute Fachkenntnisse nur schwierig auf Wachstumsfirmen anzuwenden sind und lehnen deshalb ab, in diese zu investieren, auch wenn ihnen wommöglich so manche Marktchance entgeht..

Nach diesen eher allgemeinen Ausführungen wollen wir konkreter werden und nach Möglichkeit ein paar Handlungsanweisungen für den Börsenhandel zu skizzieren versuchen. Es handelt sich hierbei niemals um fixe Regeln. Stattdessen muss der Investor jederzeit bereit sein, Fakten und Argumente flexibel zu gewichten und dabei auch auf sein Bauchgefühl hören. Als wichtigste Orientierungsgrösse wollen wir das Kursgewinnverhältniss (KGV) besprechen. Dieser ist definiert als der Kurs eines Unternehmens dividiert durch den tatsächlichen oder prognostizierten Gewinn pro Aktie in einem bestimmten Jahr. Das Kurs Gewinn Verhältnis ist die wichtigste Kenngröße für einen value investor, denn sie setzt ja die massgebliche Größe für den Wert eines Unternehmens, den Gewinn, in Relation zu seinem Kaufpreis, zum Aktienkurs. Da der Kaufpreis im Zähler des KGV steht, machen wir einen um so besseren Kauf, wenn das KGV niedrig ist. Konkret bedeutet ein KGV von 10, dass ein Unternehmen zehn Jahre benötigt, um seinen eigenen Kurs zu erwirtschaften. Bilden wir den Kehrwert des KGV, erhalten wir die Rendite. Ein KGV von 10 entspricht also einer Rendite von 0,1 = 10 %. Auf diese Weise können wir die Rendite von Aktien mit der Rendite von Anleihen vergleichen. Allerdings gibt es hier einen wichtigen Unterschied: Während die Rendite einer Anleihe automatisch dem Investor als Zinsen zufliessen, kann ein Unternehmen frei über seinen Gewinn verfügen. Eine Möglichkeit ist, dass das Unternehmen den Aktionären den Gewinn als Dividende auszahlt. Andererseits kann das Unternehmen Gewinne auch im eigenen Vermögen behalten und z.B. für Investition in neue Maschinen, für Neueinstellungen oder für den Kauf von anderen Unternehmen aufwenden. Bedeutet dies nicht, dass der Aktionär schechter gestellt ist, als der Käufer von Anleihen? Dies ist nicht der Fall, denn wenn das Management des Unternehmens die gezielten Gewinne rentabel investiert (und nur solche Unternehmen sollten wir im Depot haben), dann wird sich der reinvestierte Gewinn früher oder später als Erhöhung des Unternehmenswertes und damit als Kursgewinn realisieren. Hier sehen wir auch eine eklatante Lücke im Steuerrecht, denn Dividende sind selbstverständlich vom Anleger zu versteuern, während Kursgewinne nach einem Jahr steuerfrei sind. Uns als Anleger soll diese unvernünftige Steuerlücke recht sein. Wenn wir nun das KGV als logische Konsequenz der DCF Methode feiern, haben wir natürlich ein bisschen gemogel. Denn während die DCF Methode im Idealfall alle Unternehmensgewinne einbezieht, ist das KGV nur eine Momentaufnahme. (Manchmal wird als Grundlage für das KGV deshalb auch der durchschnittliche Gewinn über einige Jahre gebildet, insbesondere wenn der Gewinn stark schwankt.) Wenngleich das KGV also sehr praktisch, weil leicht zu berechnen ist, sollten wir uns dieses Mangels der Momentaufnahme stets bewusst sein.Fangen wir mit Unternehmen an, die konstante oder besser leicht steigende Gewinne über lange Zeiträume vorweisen können. Solche Firmen, oftmals in kaum bekannten Nischen tätig und nur Fachleuten bekannt, sind manchmal zu einem KGV von 10 an der Börse zu bekommen. Führen wir uns vor Augen, was das bedeutet. Eine Anleihe eines guten Schuldners mit 10 Prozent Rendite würden wir sicher als Schnäppchen bezeichen. Wo ist also bloß der Haken? Die Antwort ist, wir bekommen hier gegenüber der Anleihe eine Prämie, weil wir uns durch den Aktienkauf am unternehmerischen Risiko der Firma beteiligen. Niemand schützt uns davor, dass die Firma schon morgen in einer Pressemitteilung ankündigt, dass sie im aktuellen Jahr Verluste schreiben wird und dass im übrigen auch die Aussichten für die Zukunft trüb sind.Eine Gegenmaßnahme hier ist nur das bekannte Streuen in mehrere Firmen. Diese Überlegung zeigt auch, dass wir niemals auf das KGV alleine schauen sollen, sondern dies immer mit einer Einschätzung der Firma und der Branche verbinden müssen. Ein Hersteller von Röhrenfernsehern ist duch Flachbildschirme bedroht, ein Produzent von Filmen durch die Digitalkamera, ein Zeitungsverlag durch das Internet. Das relativiert ein aktuell niedriges KGV. Deswegen mag ich gerne Firmen, die in Nischen tätig sind, sei es die Produktion von Getränkeabfüllanlagen, speziellen Chemikalien oder Zylinderkopfdichtungen. Die Hoffnung ist hierbei, dass es ein Neuling in diesem Markt es vergleichsweise schwer hat, den großen Vosprung der zwei bis drei führenden Firmen in diesem Bereich aufzuholen. Und bei einem KGV von 10 muss die Firma ja nur noch zehn Jahre mit dem aktuellen Erfolg weiterarbeiten, um ihren Kurs vollständig als Gewinn zu verdienen. Wichtig ist hierbei natürlich auch, was die Firma mit ihrem Gewinn anstellt. Schüttet sie ihn zum Großteil an die Aktionäre aus? Dividendenrenditen von 7% kommen in der Praxis durchaus vor. Dann ist die Sache klar. Die Firma arbeitet in einem reifen Markt und benötigt nicht viel Kapital, um ihre Stellung in dem Markt zu halten oder auszuweiten. Sofern die Firma nicht von ihrer eigenen Substanz lebt, können wir hier bei einer Investition nicht viel verkehrt machen, dürfen uns aber auch keine allzu dramatischen Kursgewinne erhoffen.(jedoch immer noch viel bessere als bei Anleihen) Macht eine Firma hohe Gewinne und zahlt nur eine geringe Dividende, müssen wir genauer hinschauen. Wo bleibt der Gewinn der Firma? Wird ein neues Geschäftsfeld aufgebaut, muss die Firma Schulden abbauen, sammelt sie Bargeld in der Kriegskasse für die spätere Verwendung? Zu dieser Frage sollte auch das Branchenumfeld herangezogen werden. Ein Mobilfunkprovider wie Vodafone brauchte vor einigen Jahren jeden Cent Gewinn zum Aufbau seiner Netze, für den Gewinn neuer Kunden und für Firmenübernahmen in aller Welt. Auch heute noch sind hohe Ausgaben in UMTS nötig, aber der Mobilfunk entwickelt sich insgesamt mehr und mehr zu einer reifen Industrie. Kann nicht plausible geklärt werden, für was eine Firma seine Gewinne verwendet bzw, wie aus diese Verwendung der Wert der Firma gesteigert werden kann, würde ich trotz niedrigem KGV von einer Investition absehen.

Nehmen wir als anderes Extrembeispiel ein Biotechnologieunternehmen. Unser Biotechnologieunternehmen von oben z.B. schreibt Verluste und hat deshalb ein negatives KGV. An der Schwelle zwischen Gewinn und Verlust wird das KGV unendlich.Solche Werte sind offensichtlich unsinnig und wir müssen uns an die DCF Methode erinnern und geeignet mitteln. Offensichtlich stellen die erwarteten Gewinne der Zukunft den Wert der Firma da. Da es aber sehr schwierig abzuschätzen ist, welches Marktpotenzial ein Medikament haben wird, welches heute noch nicht zugelassen ist, sind wir hier auf Studien von Fachleuten angewiesen oder wir sind noch besser selbst ein Fachmann auf diesem Gebiet.

Interessant ist es hier wieder, ein Mittelding zwischen diesen beiden Extremen zu betrachten, also eine Firma, die z.B. mit 20 % pro Jahr wächst. Selbstverständlich sind wir bereit, für eine solche Firma einen höheren Preis zu bezahlen, als für eine Firma mit gleich hohem Gewinn, deren Gewinne aber stagnieren. Die Frage ist nur, wieviel höher das KGV sein darf, so dass wir die Aktie noch kaufen. Eine Daumenregel unter Börsianern sagt, das KGV einer längerfristig mit z.B. 20 % wachsenden Firma darf 20 betragen, wenn sie mit 30% pro Jahr wächst, entsprechend 30 %. Läßt sich diese Daumenregel mit Hilfe der DCF Methode rechtfertigen? Der Knackpunkt ist hier natürlich das Wort "langfristig". Drehen wir den Spieß um und fragen, wie lange muss eine Firma mit KGV 20 und 20 % Wachstum wachsen, um ein sozusagen "neutrales" KGV von 10 zu erreichen. Die Antwort ist, etwas weniger als 4 Jahre. Setzen wir ein KGV von 30 und 30% Wachstum an, sind es etwas mehr als vier Jahre. Wir sehen also, dass der Daumenregel die Annahme zugrunde liegt, dass eine Firma in einem Wachstumsmarkt etwa 4 Jahre wachsen kann, bis ihr Wachstum ins Stocken gerät, sei es durch Marksättigung oder neue Mitbewerber. Wir sehen hier auch dass das Risiko höher ist als bei unserem Substanzwert mit dem KGV von 10, denn vier Jahre sind eine lange Zeit, und wenn das Wachstum der Firma früher ins Stocken gerät, sitzen wir auf einer überteuerten Aktie. Andererseits ist der Gewinn viel höher, wenn wir eine Wachstumsfirma finden, die über einen längeren Zeitraum ein höheres Wachstum aufrechterhalten kann.

Ein weiterer Typ von Aktien sind die Turnaround Kandidaten. Hierbei handelt es sich um ehemals profitable Firmen, die in die Krise geraten sind und entweder Verluste schreiben oder schon am break-even stehen, alsowieder an der Schwelle, Gewinne zu machen. Eine Betrachtung des momentanen KGV führt hier naturgemäß völlig in die Irre. Um das Kurspotenzial einer solchen Firma abzuschätzen, sollte der Turnaround gelingen, kann es hilfreich sein, die Gewinne der Firma in der Vergangenheit über mehrer Jahre zu betrachten. Ist die Firma durch eigene Fehler in die Verlustzone geraten oder steht zu hoffen, dass sie sich an die geänderten Marktgegebenheiten erfolgreich anpassen kann,.können die Gewinne der Vergangenheit möglicherweise erreicht werden. Das hierbei errechnete KGV sollte in der Regel niedriger sein als bei einem Substanzwert, da dem Risiko des Totalverlustes eine entsprechende Prämie gegenüberstellen sollte. Wegen des Risikos des Totalverlustes ist bei der Investition in Turnaroundwerte die Streuung auf mehrere Aktien besonders wichtig.

In den bisherigen Ausführungen wurde die DCF Methode als die überlegene Methode bei Unternehmensbewertungen gegenüber der Substanzwertmethode dargestellt. Dies muss insofern relativiert werden, dass die Substanzwertmethode in bestimmten Fällen die alles entscheidende Bewertungsmethode ist. Wenn ich ein Unternehmen kaufen und zerschlagen will (moralische Bedenken stellen wir für den Augenblick zurück), ist offensichtlich allein der Substanzwert der Firma, also der Wert der erworbenen Gebäude, Immobilien, Bargeldbestände usw. relevant. Einen Vorteil habe ich als Investor hierbei natürlich nur, wenn der Börsenwert des Unternehmens (Anzahl der Aktien mal Aktienkurs) den Substanzwert unterschreitet. Dies kommt vor, wenn das Unternehmen es nicht schafft, das ihm anvertraute Kapital, den Substanzwert, nicht effektiv für die Erwirtschaftung eines entsprechenden Gewinns einzusetzen In den 80er Jahren gab es viele dieser Firmen und es traten in größerem Umfang sogenannte Raider auf, die diese Firmen übernommen und zerschlagen haben. Relevant wird der Substanzwert von Firmen auch bei größeren Konzernen aus mehreren Konzernbereichen und Einzelfirmen. Hier kann es vorkommen, dass die nach der DCF Methode bewerteten Einzelfirmen wertvoller sind als der Börsenwert des Konzerns. Hier steckt in der Regel die Wahrnehmung der Börsenteilnehmer dahinter, dass das Konzernmanagement die Entwicklung der Einzelfirmen bremst. Hier werden Börsenkräfte auf das Management des Konzerns einwirken, Firmen aus dem Konzernverbund zu lösen und zu verkaufen ("Konzentration auf das Kerngeschäft"). Auch wenn der Substanzwert eines Unternehmens nur bei einer Zerschlagung realisiert werden kann, stellt er häufig eine Art grobes Sicherheitsnetz für den unteren Börsenwert der Firma dar. Auch ein Mischansatz zwischen Substanzwertmethode und der DCF Methode ist manchmal hilfreich, z.B. wenn eine Firma einen hohen Barggeldbestand und gleichzeitig ein operatives Geschäft aufweist.

Wenn wir uns nach der Theorie anschauen, wie sich die Kurse an der Börse tastsächlich entwickeln, dann scheint die Kursentwicklung häufig jeder Logik zu widersprechen. Lassen sich die wild schwankenden Aktienkurse tatsächlich mit so einfachen Regeln einfangen wie oben beschrieben? Oder nimmt umgekehrt die Börse in ihren Aktienbewertungen unter Einbeziehung der täglichen Nachrichten die Unternehmensentwicklung so perfekt vorweg, dass wir nicht versuchen, mit ihr zu konkurrieren, weil wir uns bestenfalls auf ein Glücksspiel einlassen. Ich möchte dieser Einschätzung scharf widersprechen. Neben den geschilderten fundamentalen Erwägungen, die an der Börse unzweifelhaft eine Rolle spielen, spielen an der Börse Ängste und Hoffnungen, Idealismus (z.B. altenative Energien), Zwänge der Fondmanager, Eitelkeit, der Geldbedarf oder der Bedarf nach Altersvorsorge der Privatanleger und unzählige Erfolgstrategien wie die der Daytrader oder der Charttechniker eine Rolle. Dieses "unlogische" Verhalten der Börse macht einerseits die Voraussage von Aktienkursen schwierig, ist aber andererseits der Grund dafür, dass wir jederzeit Aktien finden können, die nach fundamentalen Bewertungsmaßstäben unterbewertet sind. Paradoxerweise finden sich diese Gelegenheiten vor allem dann in grosser Zahl, wenn der Privatanleger am wenigstens bereit ist, in Aktien zu investieren, also z.B. nach dem 11. September 2001. Es ist meine feste Überzeugung, dass es möglich ist, durch Ausblenden der "irrationalen" kurzfristigen Börsenschwankugen und durch Festhalten an langfristigen value Aktien früher oder später Gewinn zu erzielen. Wir wollen aber auch die Grenzen dieses Vorgehens besprechen. Das Unternehmen Google ist nach fundamentalen Gesichtspunkten hoffnungslos überbewertet, allerdings ist es denkbar, dass die Euphorie um dieses Unternehmen und die unvernünftig hohen Kurse sich selbst seine fundamentale Grundlage schafft. Wie kann das sein? Der hohe Kurs von Google führt dazu, dass das Unternehmen mit billigem Kapital versorgt wird und mit diesem neue Geschäftsfelder erschliessen kann. Ebenso führt der gute Ruf der Firma und ihre finanziellen Möglichkeiten dazu, dass die Firma in der Lage ist, exzellente Mitarbeiter für sich zu gewinnen. Ebenso stehen bis auf weiteres die Kunden der Firma Google sehr positiv gegenüber, und das hilft selbstverständlich, neue Produkte an den Mann zu bringen. Umgekehrt kann eine gesunde Firma durch ein einzelnes Ereignis in eine negative Abwärtsspirale von Kundenmißtrauen, Abwanderung von Mitarbeitern und fehlende Kreditwürdigkeit bei den Banken geraten. Auf volkswirtschaftlicher Ebene sind uns diese Schwankungen als Wirtschatfsaufschwung und Rezession bekannt. Die Kraft der Psychologie geht also hier soweit, dass die auf die fundamentalen Daten einwirkt. Umgekehrt sorgen gute oder schlechte fundamentale auch für ein entsprechendes psychologisches Momentum, so dass man von einer Wechselwirkung sprechen kann. Um mit Marx zu sprechen, müssen die Thesen "Das Sein bestimmt das Bewusstsein" und "Das Bewusstsein bestimmt das Sein." zur Synthese geführt werden. Diese enorme Kraft der Psychologie sollten wir im Hinterkopf haben, wenn wir versuchen, sie als Störgröße auszuklammern. Hierbei kommt es vor allem auch auf die Branche an: Die Lebensmittelindustrie unterliegt viel weniger zyklischen Schwankungen als der Verkauf von Luxusautos. Da gerade extreme psycholgische Schwankungen dazu neigen, sich nach einiger Zeit ins Gegenteil zu verkehren, können wir sie vielfach "aussitzen".

Schließlich noch ein Wort zur Charttheorie. Bekanntlich werden hier aus Kursverläufen von Aktien oder von Indizes Rückschlüsse auf die weitere Kursentwicklung getroffen. Wenn man versucht, dies zu rechtfertigen, gibt es meiner Ansicht nach zwei Argumente:

Da wir uns mit dem value investing zum Ziel gesetzt haben, durch Fakten und die Ausklammerung von Psychologie Geld zu verdienen, sollten wir vor allem das zweite Argument der Charttechniker ernstnehmen. Enthält ein steigender oder fallender Kurs, Informationen, die ich in meiner fundamentalen Bewertung noch nicht genügend berücksichtigt habe? Finde ich keine Anhaltspunkte dafür, ist es auch eine Frage des Selbstvertrauens, gegen den Trend zu handeln. Ich würde z.B. eine sich seit Jahren seitswärts bewegende Aktie kaufen, wenn ich fundamental von der Aktie überzeugt wäre, aber mit dem Kauf einer fallenden Aktie würde ich bis zur Bodenbildung abwarten. Trends darf also auch ein value Investor opportunistisch in seine Überlegungen einbeziehen, aber der Trend sollte niemals die erste Ursache für einen Kauf sein. Ebenso paradox sind aus fundamentaler Sicht Stoppkurse zu bewerten. Das eigene Haus würde man ja auch nicht verkaufen, wenn jemand nur einen möglichst geringen Kaufpreis anbietet. Wenn man selber bereits leichte Zweifel an einer Aktie hat, mag ein Stoppkurs sinnvoll sein, ist man zu 100% von einer Aktie überzeugt, hat er keinen Sinn.